Vererbung – Wie kommt es zur Hämophilie?
Hämophilie und von Willebrand-Syndrom entstehen durch einen Fehler in der genetischen Information. Dieser Fehler kann von den Eltern ererbt sein. Er kann aber auch neu - durch eine zufällige Veränderung der Erbinformation - in vorher nicht betroffenen Familien auftreten. Man spricht dann von einer "spontanen Mutation". Spontanmutationen sind bei der Hämophilie relativ häufig (etwa ein Drittel aller Fälle). Beim von Willebrand-Syndrom kommen sie nur äußerst selten vor.
Der menschliche "Bauplan" ist in jeder Körperzelle vorhanden. Er ist in Genen festgeschrieben, die wiederum auf Chromosomen angeordnet sind. Der Mensch besitzt 23 Chromosomenpaare, von denen jeweils das eine von der Mutter und das andere vom Vater stammt. Eines dieser Chromosomenpaare legt (u.a.) das Geschlecht fest. Es hat die Struktur XX für das weibliche Geschlecht und XY für das männliche. Die weibliche Eizelle enthält immer ein X-Chromosom. Die männliche Samenzelle kann entweder ein X-Chromosom oder ein Y-Chromosom enthalten. Trifft bei der Befruchtung eine Y-Samenzelle auf die Eizelle, entsteht ein Junge, handelt es sich um eine X-Samenzelle, so wird es ein Mädchen.
Die "Anweisung" zur Produktion von Faktor XIII oder Faktor IX findet sich nur auf dem X-Chromosom und nicht auf dem Y-Chromosom. Bei Jungen ist sie also nur einmal vorhanden. Wenn diese eine "Anweisung" durch einen Gendefekt unvollständig oder völlig unleserlich ist, tritt die Hämophilie auf. Bei Mädchen kann, im Falle eines solchen Gendefektes, die intakte genetische Information auf dem anderen X-Chromosom die Herstellung von Faktor VIII oder Faktor IX steuern. Sie erkranken daher nicht. Nur im äußerst unwahrscheinlichen Falle, dass die genetische Information auf beiden X-Chromosomen unleserlich ist, könnte auch ein Mädchen an der echten Hämophilie erkranken.
Die echte Hämophilie tritt - wie bereits erläutert - nahezu ausnahmslos bei männlichen Neugeborenen auf. Mädchen können aber - als sogenannte "Überträgerinnen" oder "Konduktorinnen" - die fehlerhafte genetische Information auf einem ihrer beiden X-Chromosomen in sich tragen und sie später an ihre Kinder weitervererben.
Die Söhne einer Konduktorin und eines nicht-hämophilen Vaters sind mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils 50 Prozent hämophil oder blutgesund. Ihre Töchter sind - ebenfalls mit jeweils 50- prozentiger Wahrscheinlichkeit - Überträgerinnen oder blutgesund. Hämophile Väter haben - in der Verbindung mit einer gesunden Frau - immer blutgesunde Söhne. Ihre Töcher sind immer Überträgerinnen. Nur Töchter einer Überträgerin und eines hämophilen Mannes könnten mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent Bluterinnen sein.
Das von Willebrand-Syndrom lässt sich in mehrere Unterformen mit zwei verschiedenen Erbgängen unterteilen. Es wird - im Gegensatz zur klassischen Hämophilie - nicht X-chromosomal geschlechtsgebunden vererbt.
Die Information zu Herstellung des von Willebrand-Faktors liegt auf einem der 22 Chromosomenpaare, die bei Männern und Frauen gleich sind (Autosome). Die Vererbung ist also "autosomal". Es gibt sowohl "autosomal rezessiv" als auch "autosomal dominant" vererbte Formen des von Willebrand-Syndroms. Beim rezessiven Erbgang tritt die Erkrankung nur auf, wenn von beiden Eltern eine fehlerhafte genetische Information weitergegeben wurde, beim dominanten Erbgang führt schon eine einzige falsche genetische Information zur Erkrankung.
Das schwere von Willebrand-Syndrom, der sogenannte "Typ III", tritt nur auf, wenn von beiden Eltern eine fehlerhafte genetische Information ererbt wird. Sind beide Eltern Überträger eines von Willebrand-Syndroms, wird die Krankheit bei ihren Kindern - Töchtern wie Söhnen - mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent in schwerer Ausprägung auftreten.
Eine Konduktorinnendiagnostik für die Hämophilie - z.B. bei Kinderwunsch - war früher nur mittels einer Gerinnungsuntersuchung möglich. Diese Methode ist sehr unsicher, da eine stark erniedrigte Gerinnung zwar ein deutlicher Hinweis auf die Überträgerinneneigenschaft ist, viele Überträgerinnen andererseits aber eine völlig normale Gerinnung haben. Heute kann man die Konduktorinneneigenschaft durch genetische Untersuchungen bestimmen. In den allermeisten Fällen ist so eine äußerst sichere Diagnose möglich.
Eine vorgeburtliche Hämophiliediagnose kann gestellt werden, falls dies von den Eltern gewünscht wird.
Vier Möglichkeiten der Vererbung
Die vier Möglichkeiten der Vererbung der Hämophilie kann man wie folgt zusammenfassen:
- Mutter gesund – Vater gesund:
In diesen Fällen liegt eine Neuerkrankung durch Spontanmutation am Faktor VIII beziehungsweise Faktor IX-Gen vor. - Mutter Überträgerin – Vater gesund:
Die Söhne sind gesund oder hämophil. Die Töchter sind gesund oder Überträgerin. - Mutter gesund – Vater hämophil:
Alles Söhne sind gesund. Alle Töchter sind Überträgerin. - Mutter Überträgerin – Vater hämophil:
Diese Kombination ist statistisch extrem selten. Die Söhne sind gesund oder hämophil. Die Töchter sind Überträgerin oder hämophil.